Kollektion 2017
Diese maritimen Fabelwesen habe ich nicht aus den Weltmeeren gezogen, sondern so erschaffen, dass sie mich mit Schönheit und Originalität erfreuen. Aufgenommen in die Galerie wundersamer Tiefseepersönlichkeiten habe ich einen Schlangenfisch und eine Fischschlange, einen pausbäckigen Wels und eine kleinmäulige Flunder. Auch ein protziger Dickkopf mit imposanter Rückenflosse erfreut mich.
Wie es sich für Fabelwesen aus den Sphären der Tiefsee gehört, machen ihre Schuppenkleider mit kaum zu steigernder Farbigkeit auf sich aufmerksam. Wie sie schimmern, schillern, blinken: neongrell, metallisch kühl, silbern und golden, ultramarin, goldgelb und kupferrot. Schaue ich lange genug hin, stelle ich mir vor, wie sie durchs Wasser gleiten. Schaue ich noch länger hin, erscheint es mir unglaubhaft, dass ich sie aus Feigenkakteen erschaffen habe.
In Andalusien haben vielerorts Kolonien verwilderter Kakteen überdauert. In solchen Monumenten des Wucherwachstums finde ich stachelige Riesenohren, manche gekrümmt, an den Rändern eingerollt, mit anderen Ohren verwachsen oder verschlungen. Sägt man eine Partie heraus und schabt die dünne Haut ab, stößt man auf einen mit ornamentalem Maßwerk gefüllten Körper, in dem die Kaktee Wasser speichert.
Von Stacheln befreit, mit Schnitzmessern geglättet und in die erwünschte Form geschabt, alsdann lange in der Sonne getrocknet, schließlich Schicht um Schicht mit Farben versehen, macht sich der Kakteenkörper auf den Weg, um ein maritimes Fabelwesen zu werden. Einige wurden gar fotografiert und stellen sich in der hiesigen Galerie vor.
Erste Fingerübungen mit Agavenholz. Mir ist aufgefallen: Im Übergang vom Stamm zur Wurzel bildet die Pita, wie man sie in Andalusien nennt, rundlich gewölbte Formen aus. Das faserige, dem Holz von Palmen ähnelnde Material lässt sich mühelos feilen, schleifen, glätten. Will ich das? Oder belasse ich die grobporige, raue, mancherorts von Stoppelbüscheln durchzogene Oberfläche? Und was soll aus den Wurzelsträngen und vertrockneten Blättern werden? Abtrennen? Maßvoll stutzen und in die Gesamtkomposition einarbeiten?
Jedenfalls bilde ich mir ein, dass in Agaven exotische Gesichter und Köpfe stecken. Für deren Hervorhebung strenge ich mich an. Nach etlichen Arbeitsstunden blicke ich auf eine sumerische Königin, einen schwarzafrikanischen Schamanen, einen tätowierten Leopardenjäger, eine Göttin des Lasters und der Trunkenheit. Manchmal gerät mir ein Gesicht so, dass es zwischen Voodoo, Schmerzverzückung und Orgasmus taumelt.
Am Kopf eines zu allem entschlossenen Dschungelkriegers arbeite ich noch. Auch ein Gesicht, dem die soeben gelungene Ankunft im Nirwana anzusehen ist, harrt noch des letzten Schliffs. Wie gesagt: Das sind erste Fingerübungen; da folgt noch was. Sofern ich die passende Agave finde, denke ich über ein Selbstporträt nach. Werde aber wohl mangels Exotik davon Abstand nehmen.
Normalerweise offenbart sich das Wurzelwerk von Ebereschen nicht im überirdischen Licht. Was soll es dort, in aller Öffentlichkeit. Es sei denn…
In Frankreich erreichte ich einmal ein Tal, in dem Bulldozer Ebereschen mitsamt Wurzeln aus dem Boden gerissen hatten (offenkundig um einer Asphaltstraße zum Durchbruch zu verhelfen). Was für ein Massaker! Rohe Gewalt hatte gewütet, ein trauriger Anblick. Da lagen sie, wie hingemetzelt auf dem Schlachtfeld, Ebereschen über Ebereschen, junge, alte, mächtige Exemplare mit dicken Stämmen.
Ihre Wurzeln waren klobig kompakt, von Höhlungen, Spalten, Furchen durchzogen; zwei gefielen mir besonders. Ich sägte sie ab und trug sie im Rucksack davon. Als ich die Erde aus den Vertiefungen gekratzt, Spitzen und Kanten freigelegt, alle Konturen hervorgehoben hatte, spürte ich bereits: Hier wachsen aus äußerst hartem Holz zwei Charakterköpfe heran.
Am liebsten positioniere ich sie vis-à-vis. Dann stelle ich mir vor, dass sich die beiden anblicken. Sagt der eine zum anderen: Wie siehst du denn aus!