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Kollektion 2021

Filigrane Skulpturen der Zauberhaftigkeit

Kakteen mussten ehemals ohne meine Bewunderung auskommen. Gründlich angeschaut hatte ich sie nie. Eines Wandertages in Andalusien machte ich Rast an einem Hang und entdeckte neben mir eine Gruppe abgestorbener Kakteen. Fast zwei Meter lang waren einige. Unter der aufgeplatzten Haut konnte ich dünne Schichten erkennen. Als ich mit dem Messer die Haut einer besonders stattlichen Kaktee entfernte, stieß ich auf ein Netzwerk aus eckigen und gerundeten Kammern. Mir gefiel die Struktur, bizarr, filigran, ornamental; vergleichbar mit dem Maßwerk eines gotischen Kirchenfensters. Schließlich habe ich die Kaktee in meine Werkstatt getragen und am nächsten Tag mit der Arbeit begonnen.
Lässt man Behutsamkeit und handwerkliche Geduld walten, kann man es schaffen, Schicht um Schicht aus dem Bauch der Kaktee herauszulösen. Nicht jede Schicht übersteht die Prozedur. Manche zerbrechen oder reißen ab. Manchmal gelingt es aber, eine zusammenhängende Schicht zu bergen. Nun heißt es: vorsichtig reinigen, störende Partien an den Rändern entfernen. Erst wenn man das Gesamtensemble mit seinen ornamentalen Finessen vor sich aufgestellt und lange bewundert hat, darf sich der Präparator ein Belobigungsgetränk gönnen. Um die Kolorierung will er sich anderntags kümmern.
Mittlerweile bilde ich mir ein: Große, wohlgeformte Kakteen wollen, ehe sie sinnlos in der Sonne verdorren, in meine Werkstatt getragen, dort bearbeitet werden. Manchen kann ich keine Hoffnung machen. Andere haben sich als nicht stabil genug oder zu diffus im Ausdruck erwiesen. Aber drei Dutzend konnte ich in Skulpturen verwandeln. Einige präsentieren sich hier im Internet, immerhin. Ihre Zauberhaftigkeit kommt allerdings im Licht der Wirklichkeit weitaus üppiger zur Geltung.

Schräge Typen auf Orangenschalen

Für kosmetisch geglättete Gesichter krümme ich meine Handgelenke nicht. Mich interessieren jene, denen man etwas ansieht: Eigentümlichkeiten, Gemütszustände, Spuren eines intensiven Lebens. Solche Gesichter habe ich in den vergangenen Wochen mit Inbrunst gestaltet, weder das linke noch das rechte Handgelenk geschont, mir war danach.
Meinem Kabinett der wurzelechten Typen gehören Grenzgänger aller Fakultäten an: Jecken, Troubadoure, Narren, Gaukler und Grimassenschneider. Auch Unholde sind vertreten, grimmige Übeltäter, chronische Haderer, Meister der Boshaftigkeit, Miesmacher aus Leidenschaft, bei denen sich ihre beständig schlechte Laune zwischen Kinn und Stirn einzementiert hat.

Andere Typen üben sich in selbstverliebten Auffälligkeiten: eine Prise Wahnsinn aus geschminkten Augen, feuriger Blick, Quetschnase, geblähte Wangen, pompöser Kopfschmuck; es darf auch eine Krone sein.
Am meisten rühren mich Typen, in deren Gesichtern die Beschwernisse des Alltags Spuren hinterlassen haben. Zerknirschte Reliefs, faltige Landschaften. Manchmal fühlt man sich ja selbst so: unausgeschlafen, zermürbt, verkatert, im Grübeln versunken, kurz davor, von Kümmernissen erniedrigt zu werden. Spätfolgen aus düsteren Momenten.

Dass man die Schalen von Orangen knautschen, modellieren, trocknen, in Gesichter verwandeln kann, hat sich mir erst nach misslungenen Versuchen und gar nicht so dummen Zufällen erschlossen. Einzelheiten der handwerklichen Machart breite ich nicht aus, nur so viel: Im klassischen Altertum wurden Tempel mit Gesichter von weltlichen Potentaten, Gottheiten, mythischen Helden verziert. Da mir kein Tempel zur Verfügung steht, bin ich darauf verfallen, die Gesichtern meiner schrägen Typen andernorts zu montieren. Eine Idee verfolge ich bereits, dazu demnächst mehr.